Soziale Medien und das Wahlverhalten junger Menschen

Können digitale Plattformen wie TiKTok politische Einstellungen beeinflussen? (Oktober 2024)

TikTok ist die Trend-App der 14- bis 15-Jährigen. Mehr als die Hälfte dieser Altersgruppe nutzt die Plattform bereits, wie eine qualitative Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) aus dem Jahr 2021 zeigt. Ähnlich wie YouTube ist TikTok ein beliebtes Portal für Kinder und Jugendliche, um eigene und fremde Videos zu veröffentlichen, zu bewerten und zu konsumieren. Wer sich auf diesen Plattformen bewegt, wird immer wieder mit Social-Media-Werbung konfrontiert. Diese Werbung ist eine Form des digitalen Marketings und bietet Werbetreibenden die Möglichkeit, ihre Zielgruppen über verschiedene Quellen gezielt anzusprechen und personalisierte Inhalte auf Basis von demografischen Daten und Nutzerverhalten effektiv zu verbreiten. Immer mehr Unternehmen nutzen deswegen soziale Netzwerke, um zu expandieren und neue Kund*innen zu erreichen. Insbesondere TikTok hat sich in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten Werbeplattformen überhaupt entwickelt. Doch wie sieht es mit gezielter Wahlwerbung und politischen Botschaften aus?

Verbreitung politischer Botschaften trotz strenger Richtlinien

Die Werberichtlinien von TikTok besagen, dass jegliche Wahlwerbung auf der Plattform verboten ist. Darunter fallen auch Posts, in denen eine Meinung zu Themen von öffentlichem Interesse geäußert wird. Anders als beispielsweise YouTube oder Instagram stellt TikTok jedoch keine öffentlich zugängliche Datenbank mit Werbedaten zur Verfügung. Daher ist es schwierig nachzuvollziehen, wie die Plattform ihre Richtlinien in die Praxis umsetzt. Und bei genauerem Hinsehen zeigt sich zudem, dass TikToks Richtlinien für Wahlwerbung leicht zu umgehen sind. Wenn Influencer*innen dafür bezahlt werden, politische Botschaften zu verbreiten, dann scheint die Plattform dies nicht aktiv zu kontrollieren. Denn TikTok gibt an, dass digitale Creator*innen (Personen, die (professionell) Inhalte für soziale Netzwerke erstellen) jegliche Art von bezahlten Inhalten selbst offenlegen müssen.

Dass dies durchaus zu Problemen führen kann, zeigte beispielsweise eine Recherche der BBC zwei Wochen vor der US-Präsidentschaftswahl 2020. Diverse linke Creator*innen machten mit Anti-Trump-Posts auf sich aufmerksam, die von einer Agentur bezahlt wurden. Erst als Journalist*innen der BBC TikTok darauf aufmerksam machten, wurden die Posts gelöscht. Zu diesem Zeitpunkt waren sie allerdings bereits hunderttausendfach angeklickt worden. Auch Mozilla, die globale gemeinnützige Organisation hinter dem Browser Firefox, recherchierte zu diesem Thema und konnte diverse politische Botschaften aufdecken, die bewusst über bezahlte Influencer*innen gestreut wurden. Hierbei wurden insbesondere die rechtsgerichteten TikTok-Influencer*innen in den Blick genommen. Nicht nur für TikTok, sondern auch für Plattformen wie X und Facebook lassen sich zahlreiche Studien finden, die ähnliche Praktiken aufdecken.

Auf Stimmenfang in sozialen Netzwerken (© Pixabay)

Beeinflussen soziale Netzwerke also das Wahlverhalten junger Menschen?

Und hier in Deutschland? Die letzten Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern haben gezeigt, dass auffällig viele junge Menschen die rechtspopulistische AfD gewählt haben. Der Südwestrundfunk (SWR) zitiert AfD-Politiker*innen, die sagen, dass es wichtig sei, als Politiker*in auf TikTok aktiv zu sein, weil junge Menschen sich dort all ihre Informationen holen würden. Miguel Klauß, AfD-Politiker und Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg, ist beispielsweise einer der erfolgreichsten TikToker seiner Partei. Mehr als 350.000 Menschen folgen ihm. Er veröffentlicht Videos mit politischen Botschaften, die teilweise mehr als eine Million Menschen sehen. Die Wahlerfolge der AfD in Thüringen und Sachsen führt er auch auf TikTok zurück, wie der SWR berichtet. Ob tatsächlich ein kausaler Zusammenhang zwischen der Wahlwerbung in sozialen Netzwerken wie TikTok und dem Wahlverhalten der Nutzer*innen besteht, lässt sich bisher noch nicht so leicht beantworten.

Insgesamt haben prozentual gesehen eher wenige Videos eine explizit politische Ausrichtung, wie eine Studie der Universität Potsdam aus dem Jahr 2024 zeigt. Mit dem entsprechenden Algorithmus ließe sich aber durchaus ein Fokus auf diese Inhalte generieren, der dann Einfluss auf die Wahlentscheidung haben könnte, so die Studie weiter. Es zeigt sich, dass gerade Parteien wie die AfD, die schon länger auf TikTok aktiv sind, die Funktionsweise besonders gut kennen und für ihre Zwecke nutzen, während sich die etablierten Parteien mit dem sozialen Netzwerk eher schwer tun. Hinzu kommt, dass polarisierende Beiträge viel mehr Aufmerksamkeit bekommen als schöne, aufwändige Videos zu vielschichtigen politischen Themen. Kurz: Plakative Aussagen erhalten mehr Views als komplexe Erklärungen.

Sollte man also besser die Finger von TikTok und Co. lassen, wenn man seriöse Inhalte verbreiten will? Die Bildungsexpert*innen des Euregionalen Zentrums für digitale Bildung (EZdB) kommen hier zu einem klaren Nein: Etablierte Parteien sollten soziale Netzwerke aktiv nutzen, um einen Zugang zu jungen Wähler*innen zu finden und demokratische Werte zu vermitteln. Dabei ist es wichtig, die Strukturen und Prozesse der Plattformen gut zu kennen, um einen Mehrwert zu generieren. Einfach „drauflos posten“ kann nicht die Lösung sein. Genau wie bekannte Influencer*innen sollten auch etablierte Politiker*innen eine klare Strategie verfolgen. Gerade junge Menschen, die nur noch selten oder gar nicht mehr Zeitung lesen und Nachrichtensendungen konsumieren, können von seriösen und demokratiestärkenden Angeboten der Parteien bzw. Politiker*innen stark profitieren.

Eine aktuelle Umfrage des Digitalverbands Bitkom aus dem Jahr 2024 zeigt, dass zwar nur wenige User*innen Politiker*innen folgen, sich jedoch mehr als die Hälfte der Internetnutzer*innen in sozialen Netzwerken und Messengern über Politik informieren. Spitzenpolitiker*innen auf Bundesebene wie Olaf Scholz und Annalena Baerbock nutzen Plattformen wie TikTok bereits sehr erfolgreich. Im Mai 2024 postete Scholz ein Video seiner Aktentasche auf TikTok und erreichte damit ein Millionenpublikum. Auch der CDU-Politiker Marc Speicher nutzt genau diese Plattform und persiflierte sein beschmiertes Plakat im Oberbürgermeisterwahlkampf in Saarlouis. Das Video ging in Windeseile viral. Dabei sollte man nicht verschweigen, dass auch und gerade viele Politiker*innen vom Hass im Netz betroffen sind. Hier muss nachgebessert werden: Gesetze für den digitalen Raum müssen konsequent durchgesetzt, Polizei und Justiz für das Thema sensibilisiert, Plattformen in die Pflicht genommen und das Thema noch stärker in die Lehrpläne der Schulen integriert werden.

Die Rolle der Bildungsinstitutionen

Der kompetente und verantwortungsvolle Umgang mit (digitalen) Medien muss neben dem Elternhaus auch in den Bildungseinrichtungen vermittelt werden, so sieht es der Medienkompetenzrahmen NRW vor. Er ist das verbindliche Instrument des Landes NRW, um Medienbildung nachhaltig im Fachunterricht zu verankern. Schüler*innen bzw. junge Menschen sollen unter anderem in die Lage versetzt werden, unangemessene und gefährdende Medieninhalte zu erkennen und diese hinsichtlich rechtlicher Grundlagen sowie gesellschaftlicher Normen und Werte einschätzen zu können. Dies beginnt damit, dass Lehr- und Fachkräfte in Bildungseinrichtungen darüber informieren, dass die Nutzung verschiedener Plattformen ein Mindestalter voraussetzt. Bei TikTok liegt dieses bei 13 Jahren. Darüber hinaus ist es wichtig, dass sich Lehr- und Fachkräfte in den Bildungseinrichtungen mit den verschiedenen Plattformen vertraut machen und wissen, wie sie funktionieren. Nur dann können sie dieses Wissen an die Jugendlichen weitergeben.

Ein kritisch-konstruktiver Umgang mit Inhalten aus sozialen Netzwerken ist eine Grundvoraussetzung, um zu erkennen, ob es sich um neutrale Berichterstattung oder schlicht um Meinungsmache und Aktivismus handelt. Dieser kritisch-konstruktive Umgang will aber gelernt sein, deshalb brauchen junge Menschen hier Unterstützung. Angebote für Schulklassen zu Themen wie Quellenkritik und Fake News gibt es in der Stadt Aachen und der StädteRegion Aachen in Einrichtungen wie dem Internationalen Zeitungsmuseum, den Stadtbibliotheken und Büchereien sowie dem Stadtarchiv Aachen. Lehr- und Fachkräfte wiederum haben die Möglichkeit, sich regelmäßig und kostenlos beim EZdB zu Themen rund um das Internet, digitale Gewalt und Influencer*innen fortbilden zu lassen. Hilfreich ist auch das Projekt MedienStunde für Schulen der Aachener Zeitung. Die Kenntnis journalistischer Kriterien ist eine Grundvoraussetzung, um sich sicher und kompetent in sozialen Netzwerken zu bewegen.

Ein kleiner Appell zum Schluss: Wer kompetent und sicher mit (digitalen) Medien umgehen kann, für den bieten soziale Netzwerke eine große Chance, die weit über eine reine Unterhaltung hinausgeht. (Politisches) Interesse, Partizipation und die Stärkung demokratischer Werte können durch soziale Netzwerke geweckt und in der Folge gestärkt werden. Dafür braucht es aber entsprechende Inhalte. Wir brauchen medienkompetente User*innen und verantwortungsbewusste Creator*innen – dieses Ziel sollte sich sowohl das Bildungs- als auch das politische System zu eigen machen, um digitale Plattformen wie TikTok erfolgreich mitzugestalten.

Lara Langfort-Riepe

Über die Autorin: In der Abizeitung stand bei Berufswunsch: Irgendwas mit Medien für Kinder! Denn schon während ihrer Schulzeit berichtete Lara als rasende Reporterin für junge Menschen. Nach einem wissenschaftlichen Magisterstudium in Greifswald und Münster mit den Schwerpunkten Kindermedien, Medienbildung und Recht sowie einem Fernseh-Volontariat in Köln waren die Kindernachrichtensendung logo! genau wie der Kinderkanal KIKA und die Film- und Fernsehschule in Hamm wichtige Stationen in ihrem beruflichen Leben. So ist es kaum verwunderlich, dass Lara ein großes Faible für die Filmbildung hat. Seit dem Jahr 2016 leitet sie das Euregionale Zentrum für digitale Bildung.

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